Der siebte Abschnitt des Continental Divide Trail führt vom Cumbres Pass nach Pagosa Springs in Colorado und ist 70 Meilen / 112 km lang. Es ist der erste Abschnitt durch die Berge von Colorado. Wir treffen auf Schnee, sehr viel Schnee sogar. Vor allem die höheren Lagen über 11’500 Fuss / 3’500 Meter sind mit grossen Schneefeldern bedeckt. Besonders krass ist es in den Wäldern an den Nordhängen. Dort ist der Trail von riesigen Schneemassen bedeckt und erschwert das Vorwärtskommen. Zusammen mit den vielen Blowdowns, die kreuz und quer im Wald liegen ergeben sich regelrechte Hindernisläufe.
Die Temperaturen sind während der Sonnenstunden sehr hoch und auch in der Nacht fällt das Thermometer kaum unter die 10 °C Marke. Genau diese Wärme und auch der Regen machen die Schneefelder an den steilen Hängen gefährlich. Wir sehen öfters Schneerutsche und müssen einige Schneefelder traversieren, bei denen wir uns unsicher fühlen. Die Bäche sind vom Schmelzwasser angeschwollen und wir haben vor der starken Strömung ziemlichen Respekt. An den Nachmittagen wird das Wandern über die Schneefelder unglaublich anstrengend, denn wir sinken teilweise bis zu den Knien oder gar Hüften in den Schnee. Unsere Schuhe sind ständig nass und unsere Füsse bis am Abend aufgeweicht und komplett durchgefroren.
Die Strapazen werden durch die absolut geniale und wunderschöne Berglandschaft wettgemacht. Die Wandertage sind sehr lang und anstrengend, aber wir sind glücklich, dürfen wir diese einmalige Landschaft der Rocky Mountains in Colorado erleben. Wir stehen jeweils vor dem Sonnenaufgang auf, um die Tage so gut wie möglich ausnutzen zu können. Das Wandern bei Sonnenaufgang in den Bergen ist magisch. Genauso, wie die wunderschönen Sonnenuntergänge. Die goldenen Sonnenstrahlen auf den schneebedeckten Bergen sind einfach unbeschreiblich schön. Andere Wanderer treffen wir kaum an. Wir können diese an einer Hand abzählen. Dafür trottet bei einer Pause eine Bärenmutter mit ihrem Jungen an uns vorbei und wir treffen immer wieder auf Alpine Schneehühner.
Tag 55 – Hinter Tannen in der South San Juan Wilderness
Chama zu verlassen, fällt uns schwer. Es waren schöne Tage und es hat so gut getan, wieder mal in einem richtigen Bett zu schlafen und täglich duschen zu können. Doch das muss nun für mindestens die nächsten fünf Tage reichen.
Vor zwei Tagen haben wir uns überlegt, wie wir zurück zum Trail kommen. Per Anhalter oder mit der Dampfeisenbahn? Da müssen wir nicht zweimal überlegen. Mit der Bahn, ist doch klar. Seit einer Woche fährt die historische Dampfeisenbahn Cumbres & Toltec Scenic Railroad von Chama nach Antonito. Wir als CDT Hiker können für USD 30 pro Person bis zum Cumbres Pass mitfahren. Genial!
Um 9:30 Uhr stehen wir am Mittwochmorgen am Bahnhof in Chama und freuen uns wie kleine Kinder im Schneckentempo zum Trail zu kommen. Die Fahrt zum Cumbres Pass dauert etwas mehr als eine Stunde. Der Schaffner bietet uns an, in den ersten Wagen zu steigen, also gleich hinter der Lok. Das Geniale ist, wir haben den ganzen Wagen für uns allein.
Die Stunde Zugfahrt vergeht viel zu schnell. Wir könnten stundenlang weiterfahren, aus dem Fenster schauen oder draussen an der Rehling stehen und die Landschaft vorbei ziehen sehen. Wir fühlen uns privilegiert, dass wir diese Fahrt erleben dürfen. Während wir im Zug sitzen, Fotos und Videos machen und auch rumlaufen, sprechen uns immer wieder die Angestellten an. Superfreudliche Leute, die richtig Spass an ihrer Arbeit haben.
Am Cumbres Pass steigen wir wehmütig, aber auch glücklich und dankbar aus. Wir warten bis die Dampflock sich wieder in Bewegung setzt und langsam davonfährt. Und nun heisst es für uns wieder laufen. Die kommenden Wochen durchwandern wir den bergigen Staat Colorado, wo landschaftliche Highlights auf uns warten. Es wird auch einige Herausforderungen geben, vor allem viel Schnee und Schmelzwasser. Wir sind gespannt und bereit dafür.
Fast neun Meilen schaffen wir am Nachmittag und sind schon sehr beeindruckt von den Bergen. Die San Juans liegen vor uns, die ersten richtigen Berge bis jetzt auf dem CDT. Wir überqueren bereits die ersten steilen Schneefelder, kraxeln über umgestürzte Bäume, füllen unsere Wasserreserven an Schmelzwasserbächen auf und finden auf 3’500 m einen schönen Platz zum Campen. Obwohl wir schweren Herzens Chama verlassen haben, ist es auch wieder total schön auf dem Trail zu sein. Die Natur, die Stille, einfach friedlich.
Tag 56 – Umgeben von Schnee und Schmelzwasser in der South San Juan Wilderness
Uns erwartet viel Schnee heute, deshalb ist früh aufstehen angesagt. Denn je früher wir dran sind, desto einfacher ist es über Schneefelder zu laufen. Als wir um 5:30 Uhr loslaufen, ist die Stimmung sensationell. Im Osten geht die Sonne auf und der Horizont verfärbt sich Gelb-Orange. Im Westen sind die Farben in blau-violett-pink Tönen. Voll motiviert starten wir so in den Tag.
Die ersten Meilen geht es aufwärts und es ist noch schneefrei. Doch das ändert sich schlagartig. Kleine und grosse Schneefelder müssen wir überqueren, doch es ist problemlos. Der Schnee ist hart und wir können schnell drüber laufen. Etwas mühsamer ist es in den Waldabschnitten, wo der Restschnee teils zwei Meter hoch ist. Das Drübersteigen braucht Kraft, vor allem weil wir einen schweren Rucksack auf dem Rücken tragen. Wir müssen auch öfters einen Umweg um umgestürzte Bäume machen. Teils finden wir den Trail kaum mehr und Marcel ist gefordert mit Navigieren. Ebenso in den grossen Schneefeldern. Den Trail sehen wir nicht und Spuren von andern CDT Hikern hat es teils auch keine.
Je später es wird, desto mühsamer wird der Schnee. Es wird sulzig und immer öfters sinken wir knietief ein. Unsere Schuhe sind klitschnass, vom Schnee und vom vielen Schmelzwasser. Der Trail verwandelt sich in einen Bach und wenn wir auf die Wiese ausweichen, stehen wir im Sumpf. So kommen wir natürlich viel langsamer vorwärts als sonst. Obwohl das Wandern so recht anstrengend und auch etwas mühsam ist, sind wir unglaublich froh, dass wir uns von den Stories anderer Wanderer nicht haben abschrecken lassen. Denn die Landschaft der South San Juan Wilderness ist faszinierend und wunderschön. Sie entschädigt für die Anstrengungen.
Das Wetter ist bis jetzt auf unserer Seite. Tagsüber ist es warm und wir können mit Shorts wandern. Auch auf fast 3’800 m ist es angenehm warm. Beim Campen sind wir von Schneefeldern umgeben aber auch in der Nacht wird es nicht mehr kalt. Die nächsten Tage soll es warm bleiben und nachmittags starken Wind geben. So stehen wir morgen wohl noch etwas früher auf. Um 4 Uhr ist Tagwache. Wir gehen mit dem Sonnenuntergang schlafen und wandern zum Sonnenaufgang wieder los.
Tag 57 – Neben Fluss und Schnee in der South San Juan Wilderness
Todmüde liegen wir im Zelt und denken nochmals über den Tag nach. Draussen prasselt Regen auf unser Zelt, neben Marcel liegt Schnee und neben mir rauscht der North Fork Conejos River. Conejos ist Spanisch für Kaninchen. Was der Fluss mit Kaninchen zu tun hat, ist uns ein Rätsel.
Zurück zum Tag. Es war einer dieser Gewaltstage. Gewaltig von den Aussichten, der Natur und den Tiersichtungen her. Aber auch gewaltig anstrengend, energieraubend und anspruchsvoll. Zum Glück wussten wir beim Aufwachen nicht, wie brutal der Tag wird. Sonst hätten wir uns vermutlich im Schlafsack nochmals umgedreht und eine Runde weitergeschlafen. Den Wecker auf 4 Uhr stellen, hat sich bewährt. Als wir kurz nach 5 Ihr loslaufen, leuchtet der Himmel bereits in den schönsten Farben. Zum Glück hat uns das Schlafen auf über 3’500 Metern nichts gemacht und wir sind fit für den Tag.
Schon auf den ersten Meilen sind Schnee und Schmelzwasser unsere ständigen Begleiter. Besonders anstrengend sind die Waldstücke, wo der Trail mit teils 2 Meter hohen Schneewänden versperrt ist. Rundherum laufen ist oft keine Option, weil der Hang so steil ist. So klettern wir drüber und sehen es als Übung für die Beinmuskulatur.
Nach der Anstrengung gönnen wir uns eine Pause. Wir finden eine schneefreie Stelle und plötzlich sehen wir eine Bärin mit ihrem Jungen daher trotten. Mutter Bär schaut in unsere Richtung und wir sind ganz baff. Was sollen wir tun? Es heisst doch, man solle Lärm machen. Wir sind vielleicht 40 Meter entfernt und schauen den beiden einfach ruhig zu. Sie ändern dann die Richtung, sodass wir sie beobachten können, wie sie hinter den Bäumen verschwinden. Unser Puls ist ziemlich hoch, vor Aufregung und vor Glück.
Dann packen wir unsere Rucksäcke wieder und trotten ebenfalls weiter. Nur in eine andere Richtung. Das nächste Schneefeld wartet. Es ist zu warm, sodass wir im Schnee tief einsinken. So kommen wir kaum vom Fleck und es ist auch alles andere als gut für unsere Fussgelenke. Ah, und wenn es kein Schnee, kein Fluss oder durchtränkte Wiesen gibt, steht uns ein steiler Aufstiege bevor. Ein Einziger ist schneefrei, doch er ist so steil und rutschig, dass wir nur langsam vorwärts kommen. Trotzdem geniessen wir den Moment, mal nicht im Schnee zu versinken oder zu rutschen.
Je länger der Tag, desto mehr Schnee. Bei Aufstiegen, im Wald aber auch bei Abstiegen. Einige sind gut machbar, doch wir haben eine Traverse, bei der wir die Eis Axt zur Hilfe nehmen. Ein Fehltritt wäre verheerend. Da gehen wir lieber auf Nummer sicher. Nun kommen wir immer tiefer in die Wildnis, von Zivilisation keine Spur. Telefonempfang gibt es schon gar nicht. Wir sind komplett auf uns alleine gestellt.
Um 17 Uhr sind wir ziemlich gerädert. Gerade eben haben wir einen steilen Aufstieg hinter uns und würden gerne das Zelt aufschlagen. Marcel’s Füsse sind eiskalt, denn er ist eben bei einem Schneefeld eingebrochen und knietief in den darunterliegenden Bach gesunken. Doch der Wind lässt es nicht zu oben auf dem Pass zu übernachten. Dann laufen wir eben noch etwas weiter. Knapp zwei Meilen weiter sollte es einen Platz zum Campen haben. Doch genau diese Meilen haben es nochmals in sich. Der Trail ist unter einer dicken Schneeschicht versteckt. Eigentlich würde es im Zickzack den Hang runter gehen. Wir wählen den direkten Weg, so wie es andere vor uns auch schon gemacht haben. Einfach auf direktem Weg den Hang runter ins Tal. Die einzige Knacknuss, es ist extrem steil. Doch was bleibt uns anderes übrig? Wir schaffen es zum Glück unversehrt runter und dann fängt es doch tatsächlich an zu regnen. Kurz darauf hören wir Donner. Oh Mann, muss das sein. Schnell ziehen wir unsere Regenjacken an, doch 5 Minuten später können wir sie bereits wieder ausziehen.
Nun steuern wir unser Camp an, doch um dahin zu kommen, müssen wir noch über einen reissenden Fluss. Hindurchlaufen, ist keine Option. Zu stark ist die Strömung. So laufen wir noch ein Stück flussaufwärts, in der Hoffnung eine gute Stelle zu finden. Ein Stück weiter oben entdecken wir ein Schneefeld, das den Fluss überdeckt. Ob die Schneebrücke hält? Marcel wagt es und sie hält. Ein letzter Aufstieg und mit etwas suchen, finden wir schlussendlich einen Platz für unser Zelt. Zuerst muss Marcel aber noch etwas Schneeschaufeln, da eignet sich die Eis Axt prima dazu.
Während dem Zelt aufstellen, werden wir wieder vom Regen überrascht. Also schnell ab ins Zelt. Stürmische Winde und Regen bis 20 Uhr. Na, dann kuscheln wir uns doch lieber in die Schlafsäcke und wünschen uns Sonnenschein für morgen.
Tag 58 – Auf der Hochebene in der South San Juan Wilderness
Den Wecker auf 4 Uhr ist ungewöhnlich für uns. Doch auf dem Trail ist alles anders. Wir gehen manchmal bereits um 20 Uhr schlafen, so können wir auch früh aufstehen. Besonders, weil uns wieder Schnee erwartet. Und früh morgens ist das Laufen auf Schnee einfach am angenehmsten. Was wir noch nicht wissen, wieviel Schnee uns erwartet.
Der Sturm vom Vorabend ist vorbei und als wir das erste Mal aus dem Zelt schauen, sehen wir Sterne. Ganz viele Sterne sogar. Um 5 Uhr kommt bereits das erste Licht, sodass wir die Berge sehen. Wir sind umringt von mächtigen Bergen mit Schneefeldern, die im Dunkeln leuchten. Die schönste Stimmung ist dann beim Zähneputzen, kurz bevor wir loslaufen.
Gleich als erstes müssen wir über den Fluss, neben dem wir gezeltet haben. Die zügige Strömung und das eiskalte Wasser schon so früh am Morgen schrecken uns ab. Wir suchen lieber eine Stelle, wo wir trockenen Fusses drüber kommen. Obwohl, unsere Schuhe sind eh noch nass, die Socken ebenfalls. Wegen dem Sturm und der Kälte nachts konnten sind sie leider nicht trocknet. Marcel findet eine Schneebrücke, die zum Glück unser Gewicht hält. Das erste Hindernis des Tages haben wir geschafft.
Durch lichten Tannenwald und später im Tal geht es ein Stückweit fast schneefrei weiter. Umso mehr Wasser hat es dann auf dem Trail. Trockene Füsse können wir uns wohl bis am Abend abschminken. Doch immerhin werden unsere Füsse beim schneefreien Aufstieg warm. Doch irgendwann verläuft der Trail um den Berg und wir stehen wieder vor meterhonen Schneeresten, die den Weg blockieren. Manchmal geht es zum Drübersteigen, manchmal nicht. Wir folgen den Fussspuren ins Gebüsch und kämpfen uns im steilen Hang durch den Schnee und störrische Büsche. Es ist ein Kraftakt. Doch irgendwann schaffen wir es und kommen heil zurück auf den richtigen Weg.
Je höher wir kommen, desto mehr Schnee liegt an den Schattenhängen. Wir ziehen uns die Micro Spikes über die Schuhe, so haben wir mehr Halt. Noch ist der Schnee griffig und wir kommen gut voran. Doch das ändert sich bald. Die Hänge, wo der Trail verläuft, werden immer steiler, sodass wir die Trekkingstöcke mit dem Eispickel tauschen. Das gibt uns zusätzliche Sicherheit, falls wir ins Rutschen kommen. Schritt für Schritt stapfen wir am Hang entlang und plötzlich ruft Marcel: „Da sind Bärenspuren. Die sehen ganz frisch aus. Komisch ist jedoch, die Spuren kommen in unsere Richtung und gleichzeitig in die Gegenrichtung. Ob uns der Bär gehört hat und wegen uns umgedreht hat?“ Mit mulmigem Gefühl gehen wir weiter. Langsam. Ein Schritt nach dem andern und bei jedem zweiten Schritt stecken wir denn Eispickel neu in den Schnee.
Wir kommen nur sehr langsam vorwärts und als wir keine Spuren mehr sehen, wird es immer schwieriger. Das Navigieren in solchem Gelände ist auch mit dem Smartphone und der Garmin Uhr nicht so einfach. Irgendwann stehen wir weit oben, kommen in einen Tannenwald der immer steiler wird. Statt in diesem unwegsamen Gelände weiterzulaufen, suchen wir eine Alternative. Diese heisst, einen supersteilen Abstieg bis zum Fluss, den wir später sowieso überqueren müssen und querfeldein laufen, bis wir zum Trail zurückfinden. Eine gute Entscheidung, denn auf der gegenüberliegenden Flussseite ist es fast schneefrei. Einziger Nachteil, der Boden ist sumpfig.
Nach einer guten Stunde treffen wir wieder auf den Trail. Ein weiterer steiler Aufstieg steht uns bevor. Wir laufen zum Talende, es ist heiss und die Büsche haben Triebe. Es riecht nach Frühling. Doch nur bis wir den Pass überschreiten. Denn dort tauchen wir wieder in eine andere Welt ein. Schnee, wo wir hinschauen. Wir haben aufgehört zu zählen, wie viele Schneefelder wir traversiert haben. Inzwischen ist der Schnee leicht sulzig, doch immerhin griffig.
Als wir schlussendlich auf eine Hochebene kommen, sind wir überwältigt von der gewaltigen Landschaft. Einfach nur wunderschön. Wir freuen uns schon, dass wir so gut vorankommen, so ohne Schnee. Bis zu dem Moment, wo wir wieder vor einem Schneeberg stehen. Der Trail führt an einer Felswand entlang, doch da ist es so steil, dass es einfach zu gefährlich ist. Würden wir ausrutschen, würden wir genau auf eine Felsformation im Steilhang zurutschen. Die Alternative ist einen extrem steilen Hang auf dem Hosenboden runterzurutschen. Reni hat Angst und traut sich nicht. Nach einer hitzigen Diskussion, was wir machen sollen, wagt es Marcel den Hang runterzulaufen. Doch beim zweiten Schritt rutscht er ab und saust in die Tiefe. Er jubelt auf dem Weg nach unten. Das scheint Spass zu machen. Na dann, jetzt oder nie. Reni setzt sich hin und los geht’s. Keine fünf Sekunden später schliddert sie an Marcel vorbei. Ah, bremsen wär noch wichtig. Die Angst war unberechtigt. Das Glissading, wie es auf Englisch heisst, hat sogar Spass gemacht.
Doch nun steht uns wieder ein Aufstieg bevor. Zum Glück sind unsere Beinmuskeln inzwischen trainiert. Wir kommen wieder auf eine Hochebene und die Aussicht von 3’800 m ist atemberaubend. Beim Abstieg müssen wir uns leider wieder von der schneefreien Landschaft verabschieden. Bis wir unseren Platz zum Zelten erreichen, gibt es noch etliche Schneefelder zu überqueren. Es ist 16 Uhr, der Schnee sulzig und wir stehen regelmässig knietief im Sulz und Schmelzwasser.
Doch irgendwann ist alles vorbei, so auch unser Wandertag. Hinter zwei kleine Tannen stellen wir das Zelt auf und sind froh, von den starken Böen windgeschützt zu sein. Müde und glücklich fallen wir auf unsere Isomatten. Wir sind stolz auf uns, dass wir die vielen Hürden überwunden haben und hoffen auf einen etwas entspannteren Tag morgen.
Anderen Wanderern sind wir seit ein paar Tagen schon nicht mehr begegnet. Wir fühlen uns in der verschneiten Landschaft ein bisschen wir Einzelkämpfer. Die einzigen Lebewesen, die wir regelmässig zu Gesicht bekommen, sind die Alpen Schneehühner, welche sich oft in den Steinhaufen zur Trail Markierung verstecken. Auch sie scheinen selten Menschen zu Gesicht zu bekommen, denn sie sind äusserst zutraulich und haben vor uns kaum Angst.
Tag 59 – Auf dem Grat beim Alberta Peak im Wolf Creek Skigebiet
Aufwachen im Zelt, wenn es noch dunkel ist und eine Tasse Kaffee trinken im kuschligen Schlafsack, das geniessen wir auf der Weitwanderung sehr. Noch schöner ist es dann anschliessend in den Sonnenaufgang reinzulaufen. So wie heute. Der Aufstieg an dem exponierten Hang ist genial, denn so können wir die Berge bestaunen, die wunderschön beleuchtet werden.
Je nach Hanglage ist es schneefrei oder total weiss. Und klar, es erwarten uns natürlich wieder grosse Schneefelder. Frühmorgens kein Problem, dann ist der Schnee nämlich hart und supergut begehbar. Auf dem Weg ins Tal läuft Reni voraus und verpasst doch glatt die Abzweigung des CDT. Wir landen an einer Forststrasse. Kein Problem, so laufen wir einfach einige hundert Meter der Strasse entlang bis wir zurück auf den Trail können.
Wieder steht ein Aufstieg an und wir geniessen wunderschöne Aussichten auf die Berge Colorados. Nach den anstrengenden Tagen im Schnee und am Berg sind wir froh, können wir die schneebedeckten Berge aus der Distanz betrachten. Inzwischen sind wir in einer Gegend, wo nur noch ganz wenig Schnee liegt. Ob sich das über den ganzen Tag durchzieht?
Nein, natürlich nicht. Kaum haben wir uns über die schneefreien Wiesen und Trail gefreut, kommt ein Waldstück mit riesigen Schneehaufen. Unsere Oberschenkelmuskeln sind ausgelaugt und so ist es ein Kraftakt, diese zu überschreiten. Genauso ist es auch mit den Blowdowns und von denen kriegen wir auch noch eine ganze Menge ab. Es ist wieder mal ein richtiger Hindernislauf. Kurz nach 17 Uhr erreichen wir endlich den Grat beim Alberta Peak.
Wir finden einen superschönen Platz auf einem Grat mit Aussicht in die Berge und auf einen See. Es ist bewölkt, aber windstill. Das Zelt ist schnell aufgestellt und wir sind froh, es bis hierher geschafft zu haben. Morgen sind es dann nur noch 3.3 Meilen bis zum Parkplatz, wo wir von Corina und Raphael empfangen werden. Die beiden kennen wir aus der Schweiz und sie sind aktuell in den USA unterwegs. Wir freuen uns sehr, die beiden nach 5 Jahren wiederzusehen.
Das Zelt packen wir nach einer halben Stunde wieder zusammen, denn es ziehen dunkle Wolken auf und auch der Wind wird stärker. Wir ziehen um. Zwischen Schneemauern mit Aussicht auf ein Pistenfahrzeug stellen wir das Zelt ein zweites Mal auf. Windtechnisch eine gute Entscheidung. Nach dem Essen machen wir es uns im Zelt gemütlich, hören dem Donnergrollen und dem Regen zu. Hoffentlich scheint morgen wieder die Sonne.
Tag 60 – Versorgungsstopp in Pagosa Springs
Regen und Sturm haben uns länger wachgehalten, als uns lieb war. Um 21 Uhr sollte der Regen aufhören. Zumindest sagte das die Wetterprognose voraus. Als wir nach Mitternacht aufwachen und noch immer Regentropfen auf unser Zelt prasseln hören, drehen wir uns um und versuchen weiterzuschlafen.
Der Wecker klingelt ausnahmsweise eine Stunde später als sonst. 5 Uhr ist fast wie ausschlafen. Kurz nach 6 Uhr laufen wir los und es ist trockener als erwartet. Bei bedecktem Himmel wandern wir am kiesigen Steilhang entlang und kommen an Sesselliften vorbei, die bereits die Sommerpause geniessen. Gerademal zwei Meilen trennen uns noch vom Highway, wo unsere Trail Angels Corina und Raphael aus der Schweiz auf uns warten. Der Gedanke, dass liebe Menschen und ein Zero Day auf uns warten, versorgt uns mit einer Extraportion Energie. Wir fliegen praktisch runter zum Highway 160. Kurz bevor wir den Highway und somit ein bisschen Zivilisation erreichen, überkommt uns ein unglaubliches Gefühl. Wir haben es geschafft. Alle Strapazen sind in wenigen Sekunden vorbei und vergessen. Das Glücksgefühl überwiegt.
Kaum sind wir in Sichtweite der Strasse, steigen Corina und Raphael aus dem blauen Mietwagen. Tatsächlich, wir werden erwartet. Am Highway 160 beim Wolf Creek Pass in Colorado. Die Beiden steigen aus und winken uns zu. Wir können es kaum fassen, Corina und Raphael auf dem Parkplatz am Wolf Creek Pass zu sehen. Es ist wahr. Die Beiden stehen tatsächlich da. Das letzte Mal haben wir uns vor fünf Jahren in der Schweiz gesehen. Wahnsinn! Bevor wir nach Pagosa Springs fahren, werden wir mit einem Apéro verwöhnt. Sekt, Laugenbrötli, Gurken, Tomaten, Käse, Schinken und Salami. Und das um 8 Uhr morgens. Was gibt es Schöneres, nach fünf harten Wandertagen so empfangen zu werden. Nochmals ❤️-lichen Dank, Corina & Raphael.
Trotz eisigem Wind halten wir es recht lange aus und geniessen den Empfangs-Apéro. Denn wir sind so froh, dass wir diesen Abschnitt gut überstanden haben. Und jetzt verstehen wir auch, weshalb sehr viele CDT-Hiker direkt nach Wyoming geflippt sind oder ein paar Wochen bei Familie und Freunden aussitzen. Für uns ist es etwas schwieriger, den Schnee auszusitzen. Unsere Zeit ist beschränkt. Doch auch wir haben einen Weg gefunden, dem Schnee zu entfliehen.
Corina und Raphael sind mit ihrem Auto zu zweit unterwegs und entsprechend eingerichtet. Sie räumen extra für uns das Auto um. Zu viert fahren wir nach Pagosa Springs und stoppen unterwegs noch bei einem Lookout. Wir sind einmal mehr fasziniert, wie schnell man mit einem Fahrzeug vorwärts kommt. Zu Fuss brauchen wir ewig für 20 Meilen. Mit dem Auto geht’s jedoch ganz fix. Umso mehr schätzen wir die Mitfahrgelegenheit mit Freunden.
In Pagosa Springs gehen wir als erstes einen Kaffee trinken, nehmen ein paar Kalorien zu uns und machen um 12 Uhr einen Versuch im Hotel einzuchecken. Wir haben die Wahl. Wenn wir bis 15 Uhr warten, kriegen wir moderne Zimmer im neuen Gebäude. Im alten, verwohnten Teil könnten wir sofort ein Zimmer haben. Na, dann warten wir doch gerne noch drei Stunden.
Zu Fuss spazieren wir zurück ins Zentrum, wo wir den Badenden in den heissen Quellen zusehen. Ein eigenartiges Bild. Draussen ist es kalt, doch Frauen laufen in Bikinis und Männer in Badehosen rum. Wir entdecken ein Restaurant mit Terrasse und kehren dort ein. Mexikanischer Lunch mit Corona. Was für ein perfekter Start in unsern Zero Day. Kurz bevor wir ins Hotel wollen, öffnet der Himmel die Schleusen. Zum Glück sitzen wir gerade im Restaurant und sind nicht auf dem Trail. Sobald der Regen aufhört, steuern wir das Hotel an. Nach einer Dusche und einer Siesta treffen wir uns im Zimmer von Corina und Raphael. Statt auszugehen, entscheiden wir uns eine Pizza zu holen. Dabei werden wir von einem Gewitter überrascht. Nicht nur wir sind klitschnass, sondern auch die Pizza. Egal, sie ist trotzdem lecker und das Glas Wein dazu schmeckt gleich doppelt gut.
Wir diskutieren auch unsere Weiterreise. Colorado ist im Moment sehr anstrengend, äusserst anspruchsvoll und auch risikoreich mit dem vielen Schnee. Sehr viele CDT Hiker lassen im Moment das High Country aus, wegen des vielen Schnees. Zudem ist hat das Lawineninstitut von Colorado gerade noch eine Lawinenwarnung veröffentlicht, die das Gebiet betrifft, durch das wir weiterwollen. Zu viert diskutieren wir die verschiedenen Optionen. Es fällt uns nicht leicht, aber wir überlegen uns schwer, ob wir Colorado im Moment den Rücken kehren sollen. Bevor wir endgültig entscheiden, schlafen wir noch einmal drüber.
Unterkünfte in Pagosa Springs
The Drift – Gute Lage, wenige Gehminuten ins Zentrum mit Restaurants, Cafes und Einkaufsmöglichkeiten. Moderne Bungalows mit eigenem Bad. Kostenloses WLAN, Kaffeemaschine, Mikrowelle.
Healing Waters Resort and Spa – Zentrale Lage mit Einkaufs- und Essensmöglichkeiten in Gehdistanz. Gepflegte Zimmer mit kostenlosem WLAN, Kaffeemaschine, eigenem Bad. Das Highlight ist der Thermalpool.
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Liebe Reni und Marcel
Sehr eindrücklich eure Leistung, hoffentlich reist der Schutzengel immer mit. Recht extrem dieser Abschnitt und ich hoffe ihr lässt das gefährdete Gebiet jetzt auch links liegen. Ich versichere euch es gibt noch genügend weitere challenges
Macht’s guet, freue mich immer auf eure spannenden Berichte
Lieber Gruss
Violanda
Liebe Violanda
Der Schutzengel war zum Glück immer dabei, sodass wir auch die schwierigen Passagen gut hingekriegt haben. Wir sind echt froh, haben wir den Abschnitt geschafft. Trotzdem sind wir froh, die Herausforderung angenommen zu haben. Denn wir haben wieder viel gelernt.
Ein weiterer Bericht folgt bald. Vielen lieben Dank für’s mitlesen und deine lieben Kommentare.
Liebe Grüsse,
Marcel und Reni
Wunderschöni Bärgwält. Eimolig die Stimmigsbilder bi Sunne uf und Undergang. Mir bewundered euen Durchhalte Wille und die nötigi Energie all das z meischtere und sind dankbar, das ihr die schwierigi Etappe guet überschtande händ und heil a cho sind. Bi somene super tolle Empfang mitte i dä Wildnis sind all die Schtrapaze gli vergässe und d Freud über Bsuech us dä Heimat isch scho riesig. Schön händ ihr so tolli Erläbnis. Für die nöchschte Abentür wünsched mir eu viel Glück Ma und Pa
Liebe Elsbeth
Herzliche Dank für dini liebe Wort. Es isch en astrengende Abschnitt gsi, aber mir sind sehr glücklich hend mir die Herusforderig agnoh. So hend mir wieder viel glärnt und freued üs uf die nöchste Abentür.
Beschti Grüess zrugg