Ein schlichtes Monument aus fünf Holzsäulen steht in der abgeholzten Schneise, mitten im dichten Wald. In der Mitte der Schneise verläuft die Grenze zwischen den USA und Kanada und das Monument markiert das nördliche Ende des Pacific Crest Trails. Um dieses Monument zu sehen, sind wir von Mexiko entlang des Pacific Crest Trails bis an die kanadische Grenze gewandert. 4250 km haben wir zurückgelegt. Ein halbes Jahr lang haben wir Tag für Tag in der Natur verbracht. Vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang sind wir durch wundervolle Landschaften gewandert, haben draussen gelebt und im Zelt mitten in der atemberaubend schönen Natur geschlafen. Jetzt haben wir es tatsächlich geschafft. Wir sind den Pacific Crest Trail gewandert.
In unserer westlichen Welt, welche vom Leistungsdruck der Gesellschaft geprägt ist und sich das Leben grösstenteils in Büros und im Sitzen abspielt, ist eine solche Erfahrung nur von wenigen wirklich nachvollziehbar. Wer hat schon die Zeit und Lust, den Job an den Nagel zu hängen, um für ein halbes Jahr auf den Luxus des «normal» Lebens zu verzichten und 4250 km zu wandern? Wir schätzen uns unendlich glücklich und privilegiert, dass wir das Abenteuer Pacific Crest Trail erleben durften und die Natur so nah spüren und erfahren durften. Wir sind enorm Stolz darauf, dass wir zu der kleinen Gruppe von Menschen gehören, die den PCT als Thru-Hike in einer Saison und an einem Stück gewandert sind.
In unseren regelmässigen Beiträgen und Videos zu den einzelnen Etappen des PCT haben wir versucht, unsere Erlebnisse, Gefühle und Erfahrungen entlang des Trails für Leser zugänglich zu machen und zu teilen. Natürlich sind das immer nur Ausschnitte aus dem gesamten Erlebnis. In diesem Beitrag beschreiben wir, wie der Pacific Crest Trail unser Leben verändert hat, die Gefühle, welche die Weitwanderung in uns hinterlassen hat und was wir während und auch nach der Wanderung gelernt haben.
Die ersten Tage nach dem Pacific Crest Trail und die Post PCT Depression
Während der letzten Tage auf dem Trail wurden unsere Gefühle komplett durcheinandergewirbelt. Einerseits waren wir unendlich glücklich darüber, dass wir es bald geschafft haben und die gesamte Strecke des Pacific Crest Trails ohne grössere Zwischenfälle durchwandern konnten. Auf der anderen Seite hat sich bereits eine gewisse Leere in uns zu erkennen gegeben.
Am Morgen, nachdem wir zurück in der Zivilisation waren, sind mir nach dem Aufwachen einfach nur noch die Tränen heruntergelaufen. Ich war komplett am Ende meiner Kräfte, sowohl körperlich wie auch geistig. Meine Gefühle waren das reinste Durcheinander und mein Körper komplett ausgelaugt. Ich konnte kaum mehr gehen und jeder Schritt hat mir Schmerzen bereitet.
Die körperlichen Beschwerden haben sich rasch abgeschwächt. Wir haben viel geschlemmt und versucht so viele Kalorien, wie möglich zu uns zu nehmen. Nach jeder Mahlzeit ging es mir besser, mein Körper konnte sich regenerieren und die Energiereserven wieder aufbauen. In meinem Kopf war jedoch nach wie vor das reinste Chaos.
Wir hatten nur noch ein paar Tage in den USA, bevor wir zurück zu unserem Camper in Uruguay geflogen sind. Die Zeit haben wir mit Essen, Faulenzen und ein bisschen Sightseeing verbracht. Und wir sind mit PCT-Freunden in Seattle ausgegangen. Zu viert haben wir der Zeit auf dem Trail nachgetrauert, denn uns ging es allen ähnlich. Wir vermissten das Leben auf dem PCT. Irgendwie haben wir uns in der «richtigen Welt» fehl am Platz gefühlt und hatten Mühe ins richtige Leben zurückzufinden.
Wir hatten schon öfters vom Post PCT Blues oder der Post PCT Depression gelesen – einem Gefühl der Unzufriedenheit und Leere – und dass es normal ist, dass man nach einer Weitwanderung darunter leidet. Doch nun kennen wir dieses Gefühl aus Erfahrung am eigenen Leib.
Die Post PCT Depression ist einerseits rein körperlich bedingt. Schliesslich haben wir unsere Körper über Monate daran gewöhnt jeden Tag 30 bis 40 km zu wandern und ständig in Bewegung zu bleiben. Dabei haben wir uns an die Glückshormone Serotonin, Endorphine, Adrenalin und andere stimmungsfördernden Chemikalien, welche unser Körper durch die Bewegung produziert hat, gewöhnt. Ganz zu schweigen von der unglaublichen Menge an frischer Luft und Sonnenstrahlen, die wir während des Outdoorlebens abbekommen haben. Wir wurden zu Outdoor- und Bewegungs-Junkies.
Jeder einzelne der 4250 Kilometer, den wir gewandert sind, war einzigartig. Jeder Schritt, jeder Stein am Boden, jeder Baumstamm, über den wir klettern mussten, jeder Fluss, den wir überquerten, jede Wasserquelle, jeder Gebirgspass, jeder Schlafplatz, jede Aussicht, jeder Schneesturm, jeder Verpflegungsort und jede Begegnung entlang des PCT war einzigartig.
Jetzt hat uns ein stückweit die Routine wieder in eisernem Griff. Wir haben zwar das grosse Glück, dass wir nicht zurück in eine Wohnung, einen Job und ein einengendes System müssen. Trotzdem ist vieles wieder bekannt und normal. Die Welt jenseits des PCT fühlt sich berechenbar, vorgegeben und voraussehbar an. Die Tage sind ausgeglichen und weniger von extremen Hochs und Tiefs geprägt.
Wie werde ich nur diese Post PCT Depression wieder los?
Als wir nach ein paar Tagen später wieder in Uruguay gelandet sind, wurden wir von lieben Freunden sehr herzlich empfangen. Dies hat uns sehr geholfen und uns abgelenkt. Wir sind wieder in unseren Camper gestiegen, haben unsere Wanderausrüstung verstaut und sind dann gleich losgefahren. Zuerst quer durch Argentinien, rüber nach Chile und dann weiter nach Bolivien, wo wir mit unseren Freunden das Offroad Abenteuer entlang der Lagunenroute in Angriff genommen haben.
Während dieser Zeit hatten wir es sehr lustig, doch bei mir wurde die Zeit auch von einer neckischen dunklen Wolke überschattet. Mit dem alltäglichen Leben habe ich die Gefühle nur unterdrückt und mich davon abgelenkt. Im Nachhinein, weiss ich, dass es wohl besser gewesen wäre, hätte ich Zeit gehabt mein Gefühlschaos und meine Emotionen zu sortieren und mich der Post PCT Depression zu stellen. Denn Zeit dazu blieb mir ja keine, da wir gereist sind, viel gefahren sind, Attraktionen angeschaut haben und viel gequatscht haben. Doch all das hat dazu geführt, dass meine wahren Gefühle unterdrückt wurden.
Es hat Tage, Wochen und Monate gedauert, bis ich mich wieder komplett gefangen, meine Gefühle und Emotionen sortiert und verstanden habe.
An der kanadischen Grenze waren wir doch unendlich froh, dass wir es geschafft und das Ziel erreicht haben. Endlich mussten wir nicht mehr jeden Tag wandern und den Rucksack tragen. In der Zwischenzeit würden wir am liebsten gleich wieder zurück auf den Trail und weiterwandern. Die Weitwanderung hat uns definitiv geprägt und tiefe Spuren in uns hinterlassen. Fast kein Tag vergeht, ohne dass wir an die geniale Zeit und die Erlebnisse auf dem PCT denken. Wir sprechen viel über diese unvergessliche Zeit. Das Weitwandern ist ein Teil unseres Lebens geworden und wir werden bestimmt noch andere Weitwanderungen in Angriff nehmen. Bis es so weit ist bleiben uns die Erinnerungen an die Zeit auf dem PCT.
Was macht das Leben auf dem PCT so einzigartig?
Das Leben auf dem PCT ist meist einfach und auf das Überlebensnotwendigste reduziert. Die menschlichen Grundbedürfnisse stehen im Fokus. Wir wachen mit müden Gliedern in unserem Zelt auf. im Dunkeln bereiten wir unser Frühstück zu und essen dieses. Brechen unser Zelt ab und packen alles in unsere Rucksäcke. Wir wandern los, geniessen die ersten Sonnenstrahlen, machen Pausen zum Trinken und Essen. Wandern weiter bis zur nächsten Wasserquelle, filtern Wasser, essen, wandern weiter, machen Mittagspause, essen, trinken, lüften unsere Füsse aus und wandern weiter. Wir machen regelmässige Pausen zum Trinken und Essen, wir wandern, wandern noch mehr und nach einer weiteren Pause wandern wir noch ein bisschen weiter. Wir suchen uns einen Schlafplatz, stellen unser Zelt auf, essen unser Abendessen und legen uns ins Zelt zum Schlafen. Und am nächsten Tag wiederholen wir das Ganze. Und das tun wir für ein halbes Jahr.
Beim Wandern durchqueren wir trockene Wüstenabschnitte ohne Wasserquellen, wandern durch Wiesen voller Wildblumen, abgebrannte Wälder und moskitoinfizierte Wälder. Wir überqueren kleine Bäche auf Baumstämmen balancierend oder von Stein zu Stein springend, furten hüfttiefe Flüsse oder reissende Sturzbäche mit klirrend kaltem Schmelzwasser. Wir bewältigen steile Auf- und Abstiege, Gebirgspässe, schneebedeckte Steilhänge. Waten durch Schlamm, kriegen die Füsse tagelang kaum trocken, trotzen Schneestürmen und Hagelschauern, kämpfen uns durch Dickicht, bis die Arme und Beine blutig gekratzt sind. Brechen bis zur Hüfte in die Schneedecke ein, rutschen über vereiste Felsen und flüchten vor Blitz und Donner. Dabei halten wir aber immer auch wieder inne und bestaunen die unglaublich schönen Landschaften um uns herum.
Wir essen kiloweise Haferflocken, Nüsse und Proteinriegel, werden von Trail Angels beschenkt und unterstützt. Dürfen viele andere Wanderer kennenlernen, sind eine Zeit lang Teil einer Trail Family. Reni musste im Spital in die Notaufnahme, landet zwei Mal unsanft mit dem Gesicht auf dem Trail, zum Glück ohne Schaden zu nehmen. Wir latschen je vier paar Schuhe durch und haben Blasen an den Füssen. Wir schwimmen in Bergseen und stinken trotzdem, freuen uns über jedes Plumpsklo. Wir lachen dabei sehr viel, weinen aber auch, schreien und zanken uns. Wir haben unglaublich viel Zeit unseren Gedanken nachzuhängen, wir denken viel über uns und das Leben nach, wir lernen viel über uns und finden uns neu. Die Prioritäten in unserem Leben haben sich grundlegend verschoben. Der PCT hat uns wohl für immer geprägt und verändert. Unser Leben wird wohl nie mehr so sein, wie es war.
Was haben wir auf dem PCT gelernt?
Unglaublich viel. Ist ja auch kein Wunder, denn wir hatten sehr viel Zeit dazu. Wir haben gelernt, dass jedes Ziel in Gehdistanz ist. Egal wie weit zwei Orte auf dieser Welt voneinander entfernt sind, sie sind in Gehdistanz. Jedes Ziel kann zu Fuss erreicht werden. Es ist nur eine Frage der Zeit. Unsere Füsse können uns überall hinbringen. Mit jedem Schritt lernen wir, unsere körperliche Kraft zu nutzen. Wir merken dabei, dass wir jedes Ziel erreichen können, welches wir uns vornehmen. Wir lernen unsere Kräfte zu bündeln, in die richtige Stelle des Körpers zu leiten und auch unsere Selbstheilung zu aktivieren. Die Macht der Gedanken ist grenzenlos.
Wir lernen loszulassen und mit sehr wenig glücklich zu sein. Die Reduktion unseres Lebens auf das Wesentliche und auf die Grundbedürfnisse ist unglaublich befreiend.
Wir haben uns auf das Überleben mit dem Notwendigsten eingelassen und uns in dieses Leben aus unseren Rucksäcken verliebt. Inzwischen nehmen wir die Welt komplett neu wahr und schätzen die einfachen Dinge ganz anders. Kleine Dinge wie Trinkwasser aus dem Wasserhahn, Toiletten mit Spülung und Toilettenpapier, ein richtiges Bett, Picknicktische mit Sitzbänken, eine heisse Dusche oder einfach nur ein Apfel wurden zu echten Highlights des Tages. Wir haben auch einmal mehr gelernt, dass der Mensch im Grunde gut ist. Es gibt unglaublich viele herzensgute Menschen, die anderen Menschen mit ihrer Grosszügigkeit helfen. Auf dem PCT sind es die Trail Angel, die mit ihrer Trail Magic unsere Tage auf dem Thru-Hike verzaubert und magisch gemacht haben.
Weitwandern ist mehr als nur weit wandern, es ist ein Lebensstil
Auf dem Pacific Crest Trail haben wir gelernt, dass Weitwandern viel mehr ist als nur weit wandern. Es ist eine Philosophie und ein Lebensstil.
Oder man könnte auch sagen, es ist wie in einer Parallelwelt zu leben. Zeitdruck, Termine und Verpflichtungen rücken in den Hintergrund. Im Mittelpunkt stehen das Überleben und die Grundbedürfnisse Trinken, Essen und Schlafen. Nur selten schlafen wir zweimal am gleichen Ort und leben nur mit den Dingen, die wir in unserem Rucksack mittragen. Wir fühlen uns noch mehr als Nomaden, als wir es in unserem Leben im Camper schon gewohnt sind. Das nomadische Leben und die Abfolge von Wandern, Trinken, Essen und Schlafen ist unglaublich befriedigend für uns und wir fühlen, wie wir mit jeder zurückgelegten Meile besser in den Flow finden. Jeder zurückgelegter Schritt ist einzigartig.
Noch nie in unserem Leben haben wir so stark im Hier und Jetzt gelebt und uns so stark und glücklich gefühlt. Der Pacific Crest Trail hat uns einmal mehr gezeigt, dass wir zu unglaublichen Leistungen fähig sind. Wir müssen nur an uns glauben und das Ziel klar vor Augen haben. Ganz nach dem Motto «Dream Big».
Über die gesundheitlichen Vorteile des Wanderns und dem Outdoorlebens
Wir alle wissen, dass es gut für unsere körperliche Gesundheit ist, wenn wir Zeit an der frischen Luft und der Natur verbringen. Und wir wissen auch, dass Bewegung dazu beiträgt, den Körper in Form zu halten, die Ausdauer zu verbessern und die Muskeln zu stärken. Zeit an der frischen Luft in der Natur und weg von Lärm zu verbringen ist jedoch genauso wichtig für die psychische Gesundheit.
Es ist nachgewiesen, psychische Gesundheitsprobleme machen einen grossen Teil der Krankheiten aus, welche Menschen zu Arztbesuchen veranlassen. Studien zeigen, dass Stress die Hauptursache für Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist.
Regelmässiges Training liefert Nährstoffe und Sauerstoff in das Gewebe, was dem Herz-Kreislauf-System hilft, effizienter zu arbeiten. Wenn sich die Lungen- und Herzgesundheit im Laufe der Zeit verbessert, hat der Körper mehr Energie für die täglichen Aufgaben.
Eine Weitwanderung ist also trotz der Risiken, die man dabei eingeht, sehr gesund. Eine Warnung müssen wir allerdings noch niederschreiben. Vorsicht! Weitwandern kann süchtig machen.
Pinne diesen Artikel zu unseren Gefühlen rund um den PCT auf Pinterest
Mega schön dieser Bericht von euch. So ehrlich, ich glaube euch jeden einzelnen Satz, jedes Gefühl, so berührend. Ihr seid echt spitze. Freue mich auf euer neues Weitwander- Abenteuer
Hallo Anja,
Vielen lieben Dank für die schönen Worte. In einem Monat werden wir bereits wieder auf dem Weg sein. Wir freuen uns soo auf das nächste Weitwander-Abenteuer
Liebe Grüsse, Marcel
Hallo ihr zwei Liebe
Han dä Bricht grad müese läse und bi nüme dävo los cho. Das isch mega spannend gsi und ich glaube, das s schriebe fürs verarbeite vo so mene Gfühlschaos besser got als sich mit klare Wort mit z teile. Was so äs Erläbnis mit eim macht chan mer sich fascht nöd vorstelle. Bim nöchschte Mol gits nur eis eu me Zyt lo und zerscht emol zur Rue cho, bevor wieteri Abentür bevor schtönt. Uf dem Wäg wünsched mir eu scho jetzt viel Glück für die nöchschti Wietwanderig wo no chli länger wird.
Liebi Güess us Lommis
Gaaanz lieben Dank für die schönen Worte,
Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis wir die Erlebnisse und vor allem unsere Gefühle in Worte fassen konnten. Es hat aber unheimlich gut getan, das Ganze nochmals durchzuleben und so auch verarbeiten und abschliessen zu können. Nun sind wir voll und ganz bereit für das nächste grosse Wander-Abenteuer.
Liebe Grüsse,
Marcel und Reni
Hammermässig geschrieben, danke! Wenn die Kids etwas grösser sind, will ich das auch machen!
Vielen lieben Dank Sarah,
Wir können den PCT oder und das Weitwandern im generellen sehr empfehlen.
Liebe Grüsse,
Marcel und Reni