Was für verrückte Zeiten. Die letzten Wochen kommen uns vor wie ein Film. Unheimlich schnell hat sich weltweit die Situation verändert und das Reisen unmöglich gemacht. Was uns zur fluchtartigen Heimreise aus Südamerika verlasst hat und wieso wir nur dank Unterstützung anderer zurück in die Heimat konnten, erzählen wir in diesem Beitrag.
Mit tausenden Fotos und Eindrücken aus der Antarktis betreten wir Mitte Januar, nach drei Wochen auf dem Expeditions-Schiff, wieder südamerikanisches Festland. Von einer unvergesslichen Reise kehren wir in die Zivilisation zurück. Wir waren nicht nur in einer anderen Welt, sondern haben auch keine Ahnung, was die letzten Wochen auf der Welt passiert ist.
Eine der ersten Nachrichten, die wir lesen, ist ein Artikel aus Wuhan. Ich erinnere mich noch wie ich zu Marcel sage: «Wahnsinn, eine Millionenstadt in China ist wegen einem Virus total von der Aussenwelt abgeriegelt worden. Zum Glück ist das weit weg von uns und betrifft uns nicht.»
Heute, drei Monate später, hält das Corona-Virus die ganze Welt in Schach. Noch immer fällt es uns schwer zu begreifen, was gerade passiert.
Schock – Grenzen schliessen zwischen Chile und Argentinien
Vor einem Monat. In Chile.
Da wir auf Reisen öfters offline als online sind, haben wir wichtige Neuigkeiten immer etwas spät mitbekommen. So auch diesmal. Nach fünf Tagen kehren wir von der Natur im Süden Chiles zurück in die Zivilisation. Wir richten uns auf dem Campingplatz ausserhalb von Cochrane ein. Am kommenden Tag wollen wir wieder einmal ins Internet, um die Wetterprognosen zu checken und unsere Weiterreise zu planen. Unser Plan ist auf der Carretera Austral Richtung Norden zu fahren. Vorher möchten wir jedoch noch recherchieren, welche Stopps sich entlang der bekannten Strecke lohnen.
Die Sonne scheint uns ins Gesicht und wir sind zufrieden. Neben uns campen zwei Franzosen. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch. Sie fragen uns, woher wir kommen. «Aus dem Süden», sagen wir. Ob wir etwas gehört haben vom Ort Caleta Tortel. Anscheinend sei das Dorf abgeriegelt worden, weil dort gestern ein Corona Fall bestätigt worden ist. Wir wissen von nichts. Vorgestern konnten wir noch problemlos ins Dorf. Was da wohl dran ist?
Die Nacht schlafen wir unruhig. Es wird echt Zeit, dass wir uns im Internet über die aktuelle Situation informieren können.
Nach einer Tasse Kaffee fahren wir ins Dorf und steuern den Hauptplatz von Cochrane an. Dort gibt es öffentliches WLAN. Wir sitzen im Camper, lesen uns durch die vielen WhatsApp und werden ganz bleich. «Wo steckt ihr? Seid ihr gesund? Meldet euch.», heisst es in den vielen Nachrichten.
Wir begreifen gar nicht richtig, was los ist. Wir lesen von unseren Familien und Freunden, dass Europa stillsteht. Menschen sollen zu Hause bleiben. Konzerte sind abgesagt, Museen, Restaurants, Shopping-Zentren und alle Geschäfte, die nicht Lebensmittel verkaufen, sind geschlossen. Auch die Schulen und Universitäten.
Wir schauen uns um, merken hier im Dorf jedoch noch nicht viel. Trotzdem, der Schein trügt vermutlich. Die Situation ist schwer einzuschätzen und auf unser Bauchgefühl wollen wir uns nicht verlassen. Uns wird in dem Moment bewusst, dass wir keinen blassen Schimmer haben, wie die aktuelle Lage in Südamerika ist. Wie stehen Argentinien und Chile da? Das müssen wir sofort herausfinden. Schnell finden wir die neusten Zahlen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus, das inzwischen auch in Südamerika angekommen ist. Wir finden auch heraus, dass in Caleta Tortel tatsächlich das Corona-Virus von einem Passagier, der mit der Fähre eingereist ist, eingeschleppt wurde. Zum Glück waren wir zwei Tage vorher da. Das war knapp, denn sonst wären wir 14 Tage in Tortel festgesessen, denn der gesamte Ort ist für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt worden.
Weiter lesen wir von den Grenzschliessungen zwischen Argentinien und Chile. Europäer dürfen nicht mehr ein- oder ausreisen. Diese Nachricht wirft uns komplett aus der Bahn. Jetzt dürfen wir nicht lange überlegen, sondern müssen handeln. Ob es bereits zu spät ist? Die Grenze befindet sich zwei Autostunden von uns.
Unsere Herzen pochen wie wild. Wir schauen uns an und sind uns einig: «Los! Wir müssen probieren, jetzt noch nach Argentinien zu kommen.» In dem Moment beginnt für uns ein Wettrennen mit der Zeit.
Grenzübertritt in letzter Sekunde
Etwas ist für uns sonnenklar. Auf keinen Fall wollen wir in Chile hängen bleiben, denn unser Heimaturlaub steht bevor und in Chile können wir unser Fahrzeug maximal drei Monate stehen lassen. Bevor wir losfahren, decken wir uns im lokalen Supermarkt noch mit den wichtigsten Lebensmitteln ein. Dann fahren wir los. Die nächste Grenze ist rund 90 km von uns entfernt. Auf der Carretera Austral fahren wir bis zur Kreuzung und biegen Richtung Osten zum Patagonia Nationalpark ab. Die holprige Schotterpiste führt durch wunderschöne Landschaften. Vor wenigen Tagen waren wir bereits im Nationalpark und sind an Bergseen entlang gewandert. Diesmal fahren wir auf direktem Weg zum Paso Roballos, wo wir rund zwei Stunden später vor der geschlossen Schranke am chilenischen Zoll stehen.
Wir sind mitten im Nirgendwo. In einem kleinen Häuschen weisen wir uns beim Grenzbeamten aus und als wir sagen, wir seien Schweizer, schüttelt er den Kopf und verweigert uns die Ausreise. Personen aus Europa dürfen weder aus- noch einreisen. Wir zeigen unseren Schweizer Pass, doch er schüttelt erneut den Kopf. Die Schweiz steht auf der Liste von Corona gefährdeten Ländern. Unser Herz rast. Auch die Erklärungsversuche, dass wir uns bereits seit einem Jahr in Südamerika befinden, helfen nicht. Mit ganz viel Glück schaffen wir es dann doch noch ihn umzustimmen. Für Australier ist die Grenze noch passierbar und wir fahren ja schliesslich mit einem australischen Kennzeichen.
Er nimmt den Stempel in die Hand. Wir stehen da wie angewurzelt. Mit angehaltenem Atem schauen wir zu, wie er den Stempel hochhebt und fallen lässt. Klack und der Ausreisestempel ist im Pass.
Die Anspannung ist noch immer da. Jetzt müssen wir nämlich noch nach Argentinien einreisen. Der nette Zollbeamte lässt uns rein. Er trägt keine Maske, die liegen noch in einer Kiste hinter seinem Pult. Geduldig füllt er die Einreisepapiere aus, drückt sie uns in die Hand und öffnet die Schranke. Uns fällt ein riesiger Stein vom Herzen.
Wir sind zurück in Argentinien.
Auf der Fahrt Richtung Norden spüren wir zum ersten Mal so richtig, wie sich Situation zugespitzt hat. Überall gibt es Polizeikontrollen, Dörfer werden abgeriegelt und Campingplätze geschlossen. Wir schaffen es gerade noch einen Grosseinkauf zu machen und erreichen zum Glück die Farm, wo wir ein Weilchen bleiben wollen bis sich die Situation etwas beruhigt hat. In dem Moment wissen wir noch nicht, dass wir hier nicht mehr so schnell wegkommen und dass reisen für die nächsten Monate wohl nicht möglich sein wird.
Wir sind im sicheren Hafen
Der Empfang auf der Farm ist distanziert. Das ist keineswegs persönlich gemeint, sondern Corona-bedingt. Da wir gerade erst aus Chile eingereist sind, stehen wir unter Quarantäne. Die nächsten zwei Wochen müssen wir auf der Farm bleiben, dürfen nicht raus. Weder ins Dorf zum Einkaufen noch ins Internet. Drei weitere Camper stehen mit uns auf der grossen Wiese und so wird uns nicht langweilig.
Etwas komisch ist die Situation dann schon, als es heisst: «Wir machen einen letzten grossen Einkauf. Dann werden wir uns vorerst eine Weile isolieren.» Bei der Essensverteilung fühlen wir uns eigenartig. Wie muss das für die Menschen im Krieg gewesen sein? Tausend Gedanken jagen uns gerade durch den Kopf. Was passiert gerade auf der Welt? Wie geht es unseren Eltern, Geschwistern und Freunden? Und wie lange wird das dauern?
Uns geht es gut. Wir sind gesund, haben genug Lebensmittel und können uns glücklich schätzen an einem sicheren Ort zu sein. Das Wetter steht voll und ganz auf unserer Seite. Es ist zwar bereits Herbst in Patagonien, trotz allem sind die Tage herrlich warm. Abends müssen wir uns dick einpacken, aber mit einem schönen Feuer lässt es sich auch bis spät in die Nacht draussen aushalten. Mal kochen wir zusammen, mal sehen wir uns einen Film an oder wir zeigen einander abwechslungsweise Fotos von unseren Reisen.
Fast drei Wochen verbringen wir auf der Farm und sind froh um diese Zeit. So können wir nämlich unseren Taku (so heisst unser Camper) auf Vordermann bringen, sodass wir ihn mit gutem Gewissen die nächsten Monate stehen lassen können. Marcel hat nicht nur die Räder rotiert, den Unterbodenschutz aufgestrichen und einen Tisch für drinnen zum Essen und Arbeiten gebaut, sondern Taku auch sonst richtig gut gepflegt.
Das liebe Internet
Wir stehen auf einer Wiese, umgeben von Bäumen und hören den Bach plätschern. Die Umgebung ist traumhaft und wir haben eigentlich alles was wir brauchen. Und doch ist tief im Innern die Gefühlswelt durcheinander. Wie lange wird es dauern bis wir hier wegkönnen? Wenn alles nach Plan läuft, fliegen wir Ende April in die Schweiz. Wir zweifeln jedoch, ob bis dahin unseren regulär gebuchten Flug wahrnehmen können. Je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr vermissen wir unsere Heimat, die Schweiz.
Gerne würden wir uns erkundigen, wie sich die Situation entwickelt. Draussen in der Welt. Wir sind jedoch gefangen in unserer kleinen Welt, auf der Farm, ohne Internet. Mobilfunkempfang gibt es nicht und so auch kein Internet. Die ersten 14 Tage stehen wir unter Quarantäne und dürfen weder auf die Strasse noch ins Dorf. Nur wenn jemand von der Farm zum Dorfrand fährt, können wir unsere Smartphones mitgeben. Diese Aktion ist nervenaufreibend, denn die automatische Aktualisierung der Apps funktioniert nur sporadisch. Wenn wir Glück haben, erhalten wir WhatsApp Nachrichten. Oft aber geht gar nichts. Hoffnung und Enttäuschung wechseln sich ab. Um unsere Nerven zu schonen, geben wir ab und an unsere Smartphones gar nicht mit. Tropfenweise erhalten wir Informationen und merken, dass sich unsere Chancen aus Südamerika wegzukommen immer kleiner werden.
Kein Internet zu haben hat zwar den Vorteil, dass wir nicht all die negativen News mitkriegen. Auf die Dauer ist der Informationsmangel jedoch schwierig und belastet uns. Denn wie sollen wir entscheiden, ob wir uns sofort um die Rückreise kümmern oder abwarten sollen. Spitzt sich die Situation weiter zu, kann es lange dauern bis wir in die Schweiz zurückkehren können. Der Winter steht in Patagonien vor der Tür und ganz ehrlich, wir möchten nicht die nächsten Monate in der Kälte campen.
Die drei Wochen auf der Farm sind eine Belastungsprobe für uns. Marcel stürzt sich voll und ganz in die Arbeit. Am Fahrzeug und auf der Farm. Arbeit gibt es nämlich genug, von Holz sägen und hacken bis Wasserrohre verlegen. Auch mir wird nicht langweilig. Ich mache den Frühlingsputz, koche und schreibe Blogbeiträge. Es fällt mir jedoch schwer, die Situation zu akzeptieren. Meine Gefühle machen Purzelbäume. Mal fühle ich mich pudelwohl, im nächsten Moment bricht die Welt zusammen. Es ist ein konstanter Wechsel zwischen Hoffnung, Zweifel und Angst. Die Sehnsucht nach der Schweiz wächst von Tag zu Tag bis ich weiss, ich muss aktiv werden.
Anruf bei der Schweizer Botschaft
Fast drei Wochen später.
Das Telefon klingelt bei der Schweizer Botschaft in Buenos Aires. «Drücken Sie die 2 für Deutsch», sagt die Computerstimme. Wenige Sekunden später habe ich eine Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft am Apparat. Ich erkundige mich über geplante Rückholflüge in die Schweiz. Mit freundlicher Stimme sagt sie: «Morgen Nachmittag geht der vorerst letzte Flug nach Zürich.» «Wir sind 1’700 km von Buenos Aires entfernt. Das schaffen wir nicht.»
Wir sollen uns mit der Deutschen Botschaft in Verbindung setzen. Nach Deutschland würden noch einige Flüge organisiert werden. Das machen wir. Immer wieder heisst es, wir sollen unsere E-Mails regelmässig checken und uns auf den sozialen Medien über geplante Rückholaktionen und die aktuelle Situation informieren. Einmal mehr merken wir, Internet wird vorausgesetzt. Dass es Menschen gibt, die nicht immer online sind, scheint vielen nicht bewusst zu sein. Wir überlegen hin und her und realisieren, unsere einzige Chance wegzukommen ist eine Person mit Zugang zum Netz um Hilfe zu bitten. Wir rufen unsere Freundin in der Schweiz an, die uns bei der Botschaft für das Rückholprogramm registriert und uns die wichtigsten Informationen weiterleitet. Bei dringenden Sachen ruft sie uns auf der Farm an. Unsere Rettung!
Der Flug von Buenos Aires nach Europa ist das eine. Viel schwieriger ist jedoch von Patagonien in die Hauptstadt Argentiniens zu kommen. Die Hauptstadt Argentiniens ist nämlich über 1’600 km von uns entfernt. Wie sollen wir da hinkommen, wenn der lokale Flugverkehr eingestellt ist, es Provinzen gibt, die ganz abgesperrt sind und diese niemanden durchreisen lassen. Auch der öffentliche Verkehr ist eingestellt und nur in absoluten Ausnahmefällen ist es möglich von A nach B zu kommen. Wir brauchen Hilfe von der Botschaft. Zum Glück haben unsere Hosts auf der Farm einen Kontakt zum Deutschen Honorarkonsulat in Bariloche. Wir wissen, dass es Busse gibt. Wann jedoch der nächste fährt, steht in den Sternen. So melden wir uns einfach für den nächsten Bus an und können nur warten und hoffen.
Wir schlafen seit ein paar Tagen nicht mehr durch. Zu viele Gedanken jagen uns durch den Kopf. Oft liegen wir frühmorgens wach im Bett, aber früh aufstehen geht nicht. Draussen ist es klirrend kalt, Frost und der vereiste Wasserhahn erinnern daran, dass der Winter kommt. Zum Glück ist der Herbst trocken und um 9:30 Uhr kommt die Sonne hinter dem Hügel hervor.
Der Bustransfer nach Buenos Aires ist bestätigt
Dann die super Nachricht. Unser Bus von Bariloche nach Buenos Aires ist bestätigt. Am 4. April machen wir uns doch tatsächlich auf den Heimweg. Eine lange Reise steht uns bevor, aber egal wie lange es dauert. Wir sind überglücklich und hoffen, dass alles klappt.
Die erste Hürde gibt es bereits am Dorfeingang zu überwinden. Als erstes müssen wir ins Spital zum Fieber messen. Für die Fahrt durch andere Provinzen Argentiniens benötigen wir ein ärztliches Attest. Nur will uns die Polizei nicht reinlassen. Wir sind Ausländer, wir dürfen nirgends hin. Verachtende Blicke werden uns zugeworfen und man lässt uns einfach stehen. Unser Pass mit den Passierscheinen liegen auf dem Tisch, werden aber ignoriert. Es gibt nur eins: Warten. Was sollen wir bloss tun? Nach längerer Diskussion dürfen wir endlich weiter. Im Spital geht alles recht schnell und wir kriegen nach dem Puls- und Fiebermessen das Gesundheitsattest.
Was wir im Spital sehen, bestätigt uns dann, dass wir in einem Notfall nicht hier sein möchten. Obwohl die Krankenschwester uns darauf aufmerksam macht, wir sollten die Hände regelmässig waschen und desinfizieren, gibt es weder Wasser noch Desinfektionsmittel auf der Krankenhaus-Toilette.
Mit Pass, Gepäck und allen Dokumenten in der Tasche verlassen wir das Spital und warten vor dem Eingang. Doch wo ist unser Taxi? Es sollte vor dem Spital auf uns warten. Wir sehen kein Taxi weit und breit. Wenige Minuten später klingelt unser Handy. Der Taxifahrer ist von der Polizei am Dorfeingang aufgehalten worden. Er darf uns nicht abholen. Um Ausländer zu transportieren, müssen die Fahrer eine Spezialbewilligung haben. Obwohl er diese hat, genügt das den Polizisten nicht. Zum Glück ist der Farmbesitzer noch im Dorf und er nimmt uns mit bis zur Polizeisperre. Wir erklären den Polizisten die Situation und werden sofort abgeblockt. Wir sind der Polizei ausgeliefert. Und einmal mehr sind wir auf die Hilfe des Honorarkonsuls angewiesen.
Plötzlich werden wir gerufen. Unsere Gesundheitszertifikate werden fotografiert und dann dürfen wir ins Taxi steigen. Die erste Hürde ist geschafft. Mucksmäuschenstill sitzen wir im Taxi, während Wälder und Hügellandschaften Patagoniens an uns vorbeiziehen. Die Emotionen überschlagen sich. Nach 18 Tagen auf der Farm, behütet und isoliert, fühlt es sich unglaublich komisch an allein unterwegs zu sein. Und wir sind praktisch allein, denn die Strassen sind leer. Einzelne Lastwagen kommen entgegen, andere Autos oder Camper sehen wir jedoch keine. Wo sind all die Menschen?
90 Minuten später fahren wir in Bariloche ein. Die Gegend ist bekannt als Schweiz in Südamerika. Die Stadt sieht gepflegt und sauber aus. Im Moment ist es jedoch eine Geisterstadt. Alle Geschäfte sind zu, niemand ist auf der Strasse. Einzig die Polizei ist präsent. Vor einer Bar werden wir abgeladen und dort treffen wir auf andere gestrandete Reisende aus Deutschland und Spanien. Nach unserer Quarantäne sind wir das erste Mal wieder unter Menschen. Noch fühlt es sich komisch an Abstand zu halten. Wir merken, wie schwierig es ist sich strikte an die 2 Meter zu halten.
Obwohl wir ein paar Stunden warten müssen, vergeht die Zeit schnell. Denn wir sind beschäftigt mit Nachrichten schreiben an unsere Liebsten zu Hause und ein Hotel in Buenos Aires zu finden. Wann wir nach Hause kommen, wissen wir nicht. Registriert bei der Schweizer und Deutschen Botschaft sind wir, einen bestätigten Rückholflug haben wir jedoch noch nicht. Unser Ziel ist nach Buenos Aires zu kommen. Dort können wir wenigstens schnell reagieren, sollte es einen Rückflug geben.
In 24 Stunden quer durch Argentinien
Während Corona ist alles anders. Wir sitzen in den Bus und bevor die Fahrt losgeht, wird bei allen Reisenden Fieber gemessen. Was, wenn jemand Fieber hat? Müssen wir dann alle hierbleiben? Diese Fragen schiessen uns durch den Kopf. Entwarnung. Der Krankenpfleger gibt uns das OK. Wir können fahren.
Der Motor schnurrt. Wir sind tatsächlich unterwegs nach Buenos Aires. Wir atmen tief aus, unser Herzschlag normalisiert sich und dann sitzen wir einfach mal nur händchenhaltend da. Bilder der letzten Wochen rasen uns durch den Kopf. So langsam begreifen wir, was gerade passiert. Und doch kommt es uns total unwirklich vor.
Stopp! Polizeikontrolle. Wir wurden vorgewarnt und um Geduld gebeten. Noch können wir uns nicht einfach zurücklehnen, sondern müssen immer wieder Polizeikontrollen über uns ergehen lassen. Gottseidank ist der Bus vom Deutschen Konsulat organisiert worden. Entsprechend sind alle Bewilligungen organisiert und wir werden jedes Mal durchgewunken.
Jede Provinz, jede Stadt und praktisch jedes Dorf hat Polizeisperren aufgestellt. Marcel zählt auf der gesamten Strecke mindestens 22 Stopps bei Kontrollposten. Wir sind erleichtert im Bus zu sitzen, denn individuelles Reisen ist so praktisch nicht mehr möglich. Auf eigene Faust wären wir wohl nicht weit gekommen.
Stundenlang zieht die Landschaft an uns vorbei. Je länger wir fahren, je mehr fühlt es sich an als wären wir auf der Flucht. Ganz ehrlich, das sind wir ja auch. Wir fliehen vor der Isolation in einem fremden Land. Wir fliehen vor der Ungewissheit, wie lange die Grenzen geschlossen sind und wann wieder gereist werden kann. Wir fliehen vor der schlechten medizinischen Versorgung. Wir fliehen vor dem Winter. Und wir fliehen, weil wir hier Ausländer sind.
Ankunft in Buenos Aires
Der Tag unserer Ankunft ist auch der erste Tag des Lockdowns. Buenos Aires ist eine Geisterstadt. Nur vereinzelt sind Menschen auf der Strasse, keine Gruppen, keine Familien, nur Einzelpersonen. Total untypisch für Argentinien. Restaurants, Büros, Geschäfte und Shoppingzentren sind geschlossen. Nur ein paar wenige Lebensmittelläden haben geöffnet.
Der Bus stoppt vor dem Sheraton Hotel. Wir checken kurz die Zimmerpreise. Um die 250 Euro für eine Nacht ist uns zu hoch und wir wissen ja noch nicht, ob wir allenfalls mehrere Tage in der Stadt bleiben müssen. Zusammen mit einem anderen Paar gehen wir zu Fuss in die Innenstadt und steuern ein zentrales Hotel an. Der eine Kilometer kommt uns unendlich weit vor, denn wir sind praktisch die einzigen Personen auf der Strasse. An vielen Ecken steht die Polizei und wir sind verunsichert. Ob Ausgangssperre ist? Dürfen wir überhaupt draussen rumlaufen?
Wir weichen der Polizei aus, nehmen Umwege in Kauf und erreichen zum Glück bald das Hotel. Erleichtert checken wir ein und duschen uns den Schweiss der letzten Tage ab. Es war nervenaufreibend hierher zu kommen, trotzdem sind wir unglaublich froh in Buenos Aires zu sein. Jetzt sind wir wenigstens am richtigen Ort und sollte es Plätze auf einem Rückholflug geben, sind wir schnell am Flughafen.
Todmüde fallen wir ins Bett und schlafen bei offenem Fenster ein. Obwohl wir mitten im Zentrum von Buenos Aires sind, ist es Mucksmäuschen still. Kein Verkehrslärm, keine Stimmen, kein Flugverkehr. Fast schon unheimlich.
Ob wir morgen mit auf den Flieger nach Frankfurt können? Mit tausend Gedanken im Kopf fallen wir in einen tiefen Schlaf.
Good News!
Das Frühstück im Hotel fällt leider aus, weil der zuständige Mitarbeiter von der Polizei aufgehalten wurde. So helfen wir uns selbst. Um die Ecke gibt es einen Lebensmittelladen und im Hotel heisses Wasser. Wir kommen ins Gespräch mit den andern, die alle auf den heutigen Flug nach Europa können. Leider haben wir bis jetzt nichts vom Auswärtigen Amt gehört. Wir verabschieden uns, wünschen allen einen guten Flug und verkriechen uns im Zimmer. Nach dem Mittag erhalten wir eine WhatsApp Nachricht, die uns total aus der Fassung bringt. Die Deutsche Botschaft meldet, dass es heute noch Platz auf dem Flieger nach Frankfurt hat. Interessierte sollen sich sofort melden und bis 15:30 Uhr am Flughafen in Buenos Aires sein. Wir bestätigen per E-Mail, packen unsere Sachen und warten auf das Taxi.
Unser Herz macht Freudensprünge. Schaffen wir es tatsächlich noch heute auf den Flieger nach Europa? Das Taxi fährt vor. Zwei Stunden bleiben uns, um zum Flughafen zu kommen. Dank dem Lockdown sind die Strassen leer und wir kommen zügig voran. Unser Taxifahrer hat die nötigen Dokumente und so sind die Polizeikontrollen problemlos. Auf der Fahrt erhalten wir bereits die Bestätigung, dass wir auf der Warteliste für den Flug nach Frankfurt sind. Erleichtert steigen wir am Flughafen aus, wo wir die Truppe aus dem Hotel von heute Morgen wieder treffen.
Die Warteschlange ist lang. So lang, dass wir grosse Zweifel haben, mitfliegen zu können. Nach einer guten Stunde anstehen sind wir dran. Wir melden, dass wir auf der Warteliste sind. Die Mitarbeiterin der Lufthansa checkt die Passagierliste und sagt: «Ja, sie sind auf der Passagierliste. Wir wünschen ihnen einen guten Flug.» Diesen Moment werden wir so schnell nicht vergessen. Uns bleibt die Luft weg, unsere Mundwinkel ziehen automatisch nach oben und wir können unser Glück nicht fassen. Auf Wolke 7 laufen wir zum Check-in, wo wir unser Ticket in die Hand gedrückt kriegen.
Unsere Anspannung und Nervosität legen sich in dem Moment als der Flug abhebt. Wir sind auf dem Weg in die Heimat. Ein unbeschreibliches Gefühl. Der Flug verläuft problemlos und bei herrlichem Frühlingswetter landen wir schliesslich in Frankfurt.
Die letzte Etappe schaffen wir auch noch. Auch wenn unter erschwerten Bedingungen. Zum einen ist der Bahnverkehr bei der Grenze in Basel wegen eines Zugunglücks gesperrt. Beim nächsten Grenzübergang, der in Frage kommt, gibt es wegen Gleisarbeiten einen Bahnersatz. Das heisst für uns, wir schaffen es nicht am selben Tag in die Schweiz zu reisen. Egal. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nicht an. So machen wir einen Zwischenstopp in Stuttgart.
Die Nacht im Hotel tut gut. Ausgeschlafen, frisch und voller Energie steigen wir in Stuttgart in den Zug mit dem Ziel Ostschweiz. Strahlender Sonnenschein, herrliche 20 Grad und Frühling. Die perfekte Kombination in der Heimat anzukommen. Wir schauen stundenlang aus dem Zugfenster, staunen über die Sauberkeit und die kitschige Landschaft.
Wir sind überglücklich und unendlich froh zurück in der Schweiz zu sein.
Ein grosses Danke
Ein herzliches Dankeschön an alle, die uns in dieser Zeit unterstützt, motiviert, Glück gewünscht und zugehört haben. Ohne euch hätten wir es nicht geschafft. Vielen Dank auch an die Deutsche Botschaft und das Honorarkonsulat in Argentinien. Sie haben grossartige Arbeit geleistet.
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Bist du auch auf Reisen von der Corona-Krise überrascht worden? Wo bist du als Overland Reisender hängen geblieben?
Sali zäme
Wow, da habt ihr einiges durchgemacht.
Super dokumentiert.
Jetzt einmal abefahre.
Freue mich schon auf die nächsten Abenteuer.
Liebe Grüsse
Danny
Hoi Danny
Danke vielmol für dis Feedback.
Isch de Wahnsinn, was im Moment uf de Welt abgoht. Mir hoffed sehr, dass s’Reise irgendwenn wieder unbeschwert möglich isch. Mir sind gspannt, wie’s usechunnt. Vorallem in Südamerika, wo mir Ende Johr möchtet wiiterreise.
Neui Bricht git’s scho bald wieder.
Liebe Grüsse, Reni & Marcel
Hola Amigos – unglaublich, wie im Film!
Der Bericht ist so spannend geschrieben, ich fieberte richtig mit euch mit. Wer hätte geglaubt, dass die ganze Welt so verrückt spielen kann? Eine sehr spezielle Zeit, und wer weiss, wie lange noch.
Willkommen in der Heimat – gutes Verdauen und Einleben, und viel Zuversicht.
Vielleicht bis bald einmal…
Liebe Grüsse
Christine & Roland
Liebe Christine, lieber Roland
So schön von euch zu lesen. Und vielen Dank für euer Feedback. Freut uns sehr.
Es war schon ein bisschen wie im Film und auch jetzt noch ist es irgendwie schwierig zu begreifen, was auf der Welt abgeht.
Wir hoffen so sehr, dass das unbeschwerte Reisen wieder möglich sein wird. Viel wichtiger sind im Moment jedoch ganz andere Dinge. Bestimmt lernen wir viel aus dieser speziellen Zeit und sich so umso dankbarer für das, was wir haben.
Ganz liebe Grüsse und hoffentlich bis bald.
Reni & Marcel
Ich kann mir vorstellen was für ein Glücksgefühl das war als Ihr im Flieger ward. Auch ich habe Anfang Jänner den Blog einer Deutschen in China gelesen und gedacht – ja China – weit weg. Pfff – das war ein Mega Irrtum. Lg. Gabi
Es ist schon verrückt. Meistens ist es ja umgekehrt. Das Glücksgefühl, das man verspührt, wenn man in den Urlaub fliegt. Diesmal haben wir uns sowas von gefreut auf die Heimat, unbeschreiblich. Wir sind auch unendlich dankbar und glücklich, dass wir in einem Land geboren sind, wo wir uns total sicher fühlen. Ging und übrigens genauso am Anfang, als wir zum ersten mal vom Corona-Virus in China gehört haben. Jaja, weit weg. Und plötzlich ist es da und betrifft die ganze Welt.
Liebe Grüsse und take care, Reni
Guten tag Reni und Marcel was wahren das spannende tagen fuhr euch um dort von den farm herrunter kommen nach Buenos Aires su kommen he und dan al die polisei stops wie anstrenget is das den komst du hin oder moest si dort bleiben. Aber nach 1600km sinds sie in Buenos Aires gekommen 7nd den wird 3s noch spannend of sie uberhaubt mit kunt mit der vlieger nach Frankfurt und von dort aus met der Bahn nach de sweiss und das had ach wieder geklapt und jetz eerst maar urlaub zuhausen viel spas beim familie
Guten Tag Jan,
Vielen Dank für deine Nachricht. Es war wirklich eine verrückte Reise. Zum Glück ist alles gut gelaufen und wir sind sehr froh, dass wir die Unterstützung von der Botschaft, unseren Familien und Freunden hatten. Wir geniessen es sehr zu Hause zu sein und hoffen, das Reisen wieder möglich und unbeschwert werden wird.
Liebe Grüsse aus der Schweiz,
Reni & Marcel
Wow was für ein spannender Bericht. Ich habe obwohl ihr uns ja vieles erzählt habt, mit euch nochmals die ganzen Gefühle miterlebt, mit all den Hochs und Tiefs die ihr durchlebt habt. Mir ist so richtig klar geworden, was Heimat für euch trotz eurer Reisetätigkeit bedeutet, dass ihr in dem Moment , wenn eine solche Unsicherheit auftritt am liebsten in der Schweiz bei Familie und Freunden verbringen wollt. Wir sind sehr glücklich, dass ihr gesund seid und die 2 Wochen Isolation gut überstanden habt. Wir hoffen das ihr trotz allen Strapazen nun eine erholsame Zeit bei uns verbringen könnt. Das sich die Lage beruhigt und wir wieder ein kleines Stück Alltag zurück bekommen. Wir sind glücklich euch in unserer Nähe zu wissen und viel Zeit mit euch verbringen können. Alles gueti und liebi Grüess Elsbeth und Walti
Liebe Elsbeth
Herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ja, Heimat ist, wo das Herz ist. Und das ist für uns nach wie vor die Schweiz. Auch wenn wir die Welt und das Reisen mit allen Fassetten lieben, ist es doch immer wieder schön nach Hause zu kommen. Diesmal ganz besonders. Durch so eine spezielle Situation wird einem auch wieder bewusst, wie glücklich wir uns schätzen können in der Schweiz aufgewachsen zu sein. Es ist ein Privileg und nicht jeder hat das Glück in eine wohlbehütete Welt zurückzukehren (auch wenn es im Moment auch hier nicht einfach ist).
An dieser Stelle herzlichen Dank an euch, dass wir hier sein dürfen und ihr uns immer so herzlich empfängt.
Liebe Grüsse und wir freuen uns auf den gemeinsamen Sommer.
Liebe Christine, lieber Roland,
nun ist es bald ein Jahr her seit dem die Pandemie die Welt „übernahm“. Wie seht es aus für euch bezüglich reisen? Ist das Thema voll vom Tisch bis wir wieder irgend eine Form von stabilität haben oder sind ihr am planen?
Liebe Grüsse
Olivier
Hallo Olivier
Hier ist Reni von Swiss Nomads. Du schreibst in der Anrede Christine und Roland. Meinst du wirklich die beiden, oder ist die Frage für uns?
Wir planen jedenfalls schon weiterzureisen, die Frage ist nur wann. Wir sind noch am abwarten, wie sich die Situation entwickelt und hoffen darauf, dass es schon bald weitergeht. Es wartet noch sovieles auf der Welt, das es zu entdecken gibt.
Liebe Grüsse, Reni